Scheinselbstständigkeit?

Die deutsche Wirtschaft, insbesondere der Dienstleistungs- und der sogenannte Niedriglohnsektor steht unter erheblichem Konkurrenzdruck. In diesen Bereichen ist der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten wesentlich höher als in der produktiven Industrie. Deshalb wird schon lange und immer wieder nach Mitteln und Wegen der Beschäftigung gesucht, bei denen vor allem an den Lohnnebenkosten wie Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen auf der Arbeitgeberseite gespart werden kann.

Diese schlagen bisweilen mit 30 bis 50 % der Nettolohnkosten zu Buche. Eine der Lösungen sind die Werkverträge. Mittels dieser Werkverträge werden die vormaligen Arbeitnehmer zu Unternehmern umfunktioniert. Als solche schließen sie mit den Unternehmen Verträge zu Konditionen ab, in denen sie sich zur Erledigung bestimmter Arbeiten gegen eine vertragliche Vergütung verpflichten.

Für ihre Kranken- und Altersvorsorge sowie die ordnungsgemäße Versteuerung ihrer Einnahmen müssen sie selber sorgen. Auch tragen sie das unternehmerische Risiko ihrer Tätigkeit. Sie haften für die Mangelfreiheit ihrer Arbeit und tragen das Risiko der Insolvenz ihres Auftraggebers, ein Insolvenzausfallgeld gibt es für Selbständige nicht.

Die Umwandlung von Arbeitnehmern in selbständige Unternehmer nennt man auch Outsourcing. Mit dem Outsourcing sind regelmäßig nicht unerhebliche Risiken für (ehemalige) Arbeitnehmer und für den Arbeitgeber, der jetzt Auftraggeber ist, verbunden. Da kommt daher, dass die Parteien eines Werkvertrages nicht selber bestimmen können, ob der zwischen ihnen abgeschlossene Vertrag tatsächlich ein Werkvertrag ist, oder ob es sich doch um ein Arbeitsverhältnis handelt.

Dies beurteilt sich nach den objektiven Kriterien des Vertrages. Sofern der (ehemalige) Arbeitnehmer in der Praxis genauso weiterarbeitet wie zuvor, also den Weisungen seines Auftraggebers hinsichtlich der Leistungserbringung in Bezug auf das „Wie, Wann und Wo" unterliegt, er zudem nur einen Auftraggeber hat, liegt eben kein Werkvertrag (auch wenn es in dicken Buchstaben über dem Vertrag geschrieben steht) sondern ein Arbeitsvertrag vor. Man spricht dann von Scheinselbständigkeit.

Neulich kam eine Dame im besten Alter in meine Kanzlei, bat um Rat. Sie erzählte mir, dass sie bis vor einem Monat für ein großes deutsches Unternehmen als selbständige Event-Managerin tätig gewesen sei. Als solche habe sie innerhalb eines Teams Veranstaltungen planen, organisieren und durchführen müssen, vertragliche Grundlage sei ein Werkvertrag gewesen. Dieses Unternehmen sei ihr ständiger alleiniger Auftraggeber und Angestellte habe sie keine. Steuern müsse sie selber zahlen, dasselbe gelte für ihre Kranken- und Altersvorsorge. Ein Bereichsleiter des Unternehmens hätte die Aufträge verteilt und alle Arbeitsanweisungen erteilt.

Vor einem Monat hätte man ihr ohne Kündigung des Vertrages von einem Moment auf den anderen die Arbeit untersagt. Zur Begründung führte man an, daß die Gefahr der Scheinselbständigkeit bestehe und dies erst abgeklärt werden müsse. Was sie jetzt tun könne, fragte sie mich. Ich sagte ihr, daß wenn sie nur zum Schein selbständig sei, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zum Unternehmen bestehe und sie dies durch das Arbeitsgericht feststellen lassen und ihre Lohnansprüche einklagen müsse.

Ob sie Anspruch auf Arbeitslosengeld habe, schließlich müsse sie ja von etwas leben und Prozesse können dauern. Da keine Beiträge für sie entrichtet wurden, habe sie auch keine Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung. Allenfalls käme Sozialhilfe oder Hartz IV in Betracht. Aber ich kann sie ja auch gar nicht bezahlen. Eine Rechtschutzversicherung, die das Arbeitsrecht einschließt habe ich nicht, da ich ja dachte ich sei selbständig und ich das nicht brauche. Sie war sichtlich geknickt.

Ich habe den zuständigen Personalsachbearbeiter des Unternehmens angerufen, der sichtlich gestresst schien, weil ich eben nicht der erste Anrufer war. Gleichwohl haben wir uns zu einem Gespräch getroffen und wie es aussieht bekommen wir eine die finanziellen Nachteile meiner Mandantin ausgleichende Lösung mit einer akzeptablen Abfindungszahlung hin, die auch die wirtschaftliche Not der Mandantin erheblich mildert und es ihr auch ermöglicht, mein Honorar zu zahlen.