Rechtsirrtümer


Menschen haben einen Sinn dafür was Recht ist. Jedenfalls im Großen und Ganzen. Ein Bauchgefühl, das oftmals gar nicht zu erklären ist, unterscheidet zwischen Recht und Unrecht, richtig und falsch. Aber dieses Bauchgefühl, so richtig es vor allem dann liegt, wenn wir Sachverhalte zu beurteilen haben, die uns nicht direkt selber betreffen, kommt gewaltig ins Schleudern, verliert seine Objektivität, wenn wir selber oder uns nahestehende Personen betroffen sind.




Dann liegen wir meist mit unserem eigenen Urteilsvermögen falsch und zwar oft gründlich. Aber es gibt auch kollektive Irrtümer über das Recht bestimmter Lebenssachverhalte, gerade im Arbeitsrecht. Ein paar von ihnen wollen wir Geraderücken.

Nehmen Sie folgenden Fall: Eine Arbeitnehmerin wird für 3 Wochen krankgeschrieben. Nach 2 Wochen flattert ihr die Kündigung des Arbeitgebers ins Haus. Ist die Kündigung wirksam oder nicht, darf der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern kündigen, während sie krank zu Hause sind und auf die Genesung warten? Volkes Meinung sagt entrüstet: Nein, keinesfalls. Und diese Einschätzung ist falsch. Die Kündigung des Arbeitnehmers während seiner Krankheit ist grundsätzlich zulässig. Die Krankheit gewährt keinen Kündigungsschutz. Ein anderer Fall: Ein Arbeitnehmer hat von seinen drei Wochen Urlaub im Kalenderjahr bis zum 31.12. des Jahres nur 2 Wochen genommen, weil er ein tolles Urlaubsangebot zum Skifahren im Januar des nächsten Jahres mit Freunden wahrnehmen will.

Gleich im neuen Jahr fragt er seinen Chef um den restlichen Urlaub aus dem Vorjahr. Der schüttelt nur den Kopf und erklärt: Ihr Urlaub aus dem letzten Jahr ist verfallen. Der sofort aufgesuchte Anwalt bestätigt die Aussage des Chefs: Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Das ist die gesetzliche Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 1 des Bundesurlaubsgesetzes. Nur dann, wenn der Betrieb eine Urlaubssperre verhängt und der Arbeitnehmer gar keine Möglichkeit hatte, den Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, oder wenn der Arbeitnehmer krank ist und deshalb, oder aus anderen zwingenden Gründen seinen Urlaub nicht nehmen konnte, darf der Urlaub in das nächste Kalenderjahr übertragen werden, muss aber dann in den ersten 3 Monaten – bis zum 31. März - genommen werden.

Und dann die Abfindung. Um sie ranken sich auch höchst abenteuerliche Geschichten. Es hält sich z.B. hartnäckig das Gerücht, der Arbeitnehmer habe bei einer Kündigung einen Anspruch auf eine Abfindung, die umso höher sei, je länger man bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei. Das ist leider völlig falsch. Einen Anspruch auf eine Abfindung gibt es nicht. Punkt. Eine Abfindung kann also nicht eingeklagt werden. Was ist denn dann die Abfindung, von der so viel geredet wird? Zur Erklärung muss man ein wenig ausholen. Nach dem Gesetz ist ein Arbeitsverhältnis grundsätzlich jederzeit unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen seitens des Arbeitgebers kündbar, ohne dass der Arbeitnehmer dagegen etwas ausrichten könnte. Dieser Grundsatz gilt für alle Betriebe, die nicht mehr als 10 vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter beschäftigt haben. Übersteigt allerdings ein Betrieb diese Mitarbeiterzahl, findet auf die dortigen Arbeitsverhältnisse das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Jetzt kann der Arbeitgeber nicht mehr willkürlich ohne Angabe von Gründen und ohne die Durchführung der Sozialauswahl einem bestimmten Arbeitnehmer kündigen. Der Arbeitnehmer in einem solchen Unternehmen hat die Möglichkeit, die Wirksamkeit der Kündigung gerichtlich überprüfen zu lassen.

Hierzu muss er spätestens 3 Wochen nach Erhalt der Kündigung Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht einreichen. Das Arbeitsgericht überprüft die Kündigung. Das Verfahren dauert vielleicht 6 Monate und endet mit einem Urteil. Dagegen kann der Unterlegene in die Berufung zum Landesarbeitsgericht gehen. Dieses Verfahren dauert im Regelfall ein Jahr. Unter Umständen kann sich noch die Revision zum Bundesarbeitsgericht anschließen. Nochmals können 2 Jahre ins Land gehen. Nun stellt man sich den Fall vor. Ein Arbeitnehmer in einem großen Unternehmen klagt gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten. Nehmen wir an, dass der Arbeitnehmer in der 2. Instanz den Prozess gewinnt und die Kündigung für unwirksam erachtet wird. Der Arbeitnehmer hat dann nicht nur das Recht, in dem Betrieb jetzt weiterbeschäftigt zu werden, nein, er hat auch Anspruch auf den entgangenen Lohn für die letzten 15 Monate. So etwas kann also für den Arbeitgeber recht teuer werden, zumal er für das Geld keine Arbeit erhalten hat. Der Arbeitgeber hat somit in einem Kündigungsschutzverfahren ein erheblich höheres finanzielles Risiko als der Arbeitnehmer.

Dieses Risikogefälle hat geradezu zwangsläufig dazu geführt, dass die Arbeitgeber in vielen Fällen eine Abfindung anbieten, wenn der Arbeitnehmer dafür das Verfahren erledigt und das Unternehmen verlässt. Die Höhe der Abfindung richtet sich zwanglos nach dem rechtlichen Risiko, das die eine oder die andere Seite hat, den Prozess zu verlieren. Ist sich der Arbeitnehmer sicher, den Prozess zu gewinnen, wird er natürlich nur bereit sein, sein Recht auf Weiterbeschäftigung aufzugeben, wenn die Abfindung hoch genug ist, umgekehrt wird der Arbeitgeber nur bereit sein, eine kleine Abfindung zu zahlen, wenn er sich sicher ist, dass er den Prozess gewinnt. Man sieht also, die Abfindung selbst ist ein Mittel, einerseits sein Prozessrisiko zu minimieren (Arbeitgeber), andererseits sich die Aufgabe seines Rechts vergolden zu lassen (Arbeitnehmer), während die Höhe der Abfindung zwischen den Parteien, oftmals auf Vorschlag des Gerichts, ausgehandelt wird wie auf dem Bazar. Als Faustregel gilt dabei für den Fall, dass das Risiko auf beiden Seiten gleich verteilt ist, dass für 2 Beschäftigungsjahre ein Monats-Bruttolohn als Abfindung gezahlt wird. Das nennt man dann die „Regelabfindung“. Nach den obigen Grundsätzen verringert oder erhöht sich dieser Regelsatz je nach Risikoverteilung und – Einschätzung. Aber nochmals: Die Abfindung lässt sich nicht einklagen, sondern nur aushandeln, so dass niemand – weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer - gezwungen werden kann, eine Abfindung zu zahlen oder gar eine solche zu anzunehmen.